Kirchentalente

„Sexualität an die Oberfläche holen und darüber reden“

Im Halterner Könzgenhaus haben Anja Frank, Dozentin beim Institut für Sexualpädagogik, und Ann-Kathrin Kahle, Referentin für Sexuelle Bildung im Bistum Münster, über „Sexualkultur“ informiert.

Was sich hinter diesem Begriff verbirgt und wie sich eine stärkere Beschäftigung mit einer Sexualkultur auf den Arbeitsalltag und die Institutionellen Schutzkonzepte auswirken kann, hat Ann-Kathrin Kahle im Anschluss an die Fortbildung im Gespräch mit Christian Breuer erklärt.

Sexualkultur – das klingt erstmal etwas sperrig. Was verbirgt sich hinter dem Begriff?

Ann-Kathrin Kahle: Es geht um die Frage, wie wir mit Sexualität umgehen. Bleibt sie unter der Oberfläche und wird nicht angesprochen, oder gelingt es, das Thema an die Oberfläche zu holen und darüber zu reden, in den Austausch zu kommen. Die Fortbildung im Könzgenhaus, an der 40 Menschen teilgenommen haben, die alle in der Prävention tätig sind, war für uns dabei eine Art Experiment. Wir wollten sehen, ob diejenigen, die aus der Praxis kommen, überhaupt etwas mit dem Begriff und den Ansätzen anfangen können. Und ich kann sagen, dass da im Laufe des Tages schon sehr konkret gearbeitet wurde.

Wieso spielt eine Sexualkultur überhaupt eine Rolle am Arbeitsplatz?

Kahle: Zunächst: Es gibt immer einen Umgang mit Sexualität, egal wo wir uns bewegen, weil wir alle sexuelle Wesen sind. Sexualität darf dabei nicht allein im Sinne von Geschlechtsverkehr verstanden werden, sondern in einem viel weiteren Rahmen. Und da geht es schon darum, wie man am Arbeitsplatz miteinander umgeht und wie dieser gestaltet ist, es geht darum, wie wir Betriebsfeste feiern und uns allgemein begegnen. Außerdem haben viele von uns teils sehr nahen Kontakt zu anderen Menschen, etwa in den Kindergärten, aber auch in den Seniorenheimen. Auch dort ist die Reflexion und bewusste Gestaltung der Sexualkultur sehr wichtig, denn sie ist nicht altersgebunden, auch wenn sie an die jeweiligen Lebensalter und -erfahrungen angepasst sein muss.

Gibt es für diese Fragen nicht schon die Institutionellen Schutzkonzepte (ISK)?

Kahle: Es ist gut und wichtig, dass alle Pfarreien und Institutionen jeweils ihr eigenes ISK entwickelt haben. Das war eine direkte Folge aus den Erfahrungen, die wir in der Kirche mit sexualisierter Gewalt machen mussten. Es gibt viele Themenstellungen rund um Sexualität und wir haben gerade in der sexuellen Bildung sowohl eine Schutz- als auch Förderfunktion. Beim ISK geht es insbesondere um Grenzen, bei der Sexualkultur aber auch um Wünsche und Erwartungen, also um die Frage, was Menschen brauchen, um sich an einem Ort wohlzufühlen. Es werden eben nicht nur Räume oder Situationen benannt, die Unbehagen oder gar Angst bereiten, sondern auch solche, die positiv und angenehm wahrgenommen werden. Die Schutzkonzepte werden regelmäßig reflektiert und weitergeschrieben, dabei soll die sexuelle Bildung als notwendiges Element der Prävention in sie einfließen. Das ist unsere Hoffnung.

Ist das nicht eine Umkehr vom bisherigen Weg der Prävention?

Kahle: Der Eindruck kann zunächst entstehen, gerade weil wir uns in den vergangenen viel mit den Fragen einer angemessenen Distanz beschäftigt haben. Diese Schutzkultur braucht jedoch eine Ergänzung, sie kann nicht das einzige Leitmotiv im gemeinsamen Umgang sein. Ziel der Sexualkultur ist es, die Menschen stark dafür zu machen, dass Wünsche und Grenzen besprochen werden und das Verhalten entsprechend angepasst werden kann. Das ermöglicht eine altersentsprechende Begleitung und gegebenenfalls auch Förderung der sexuellen Entwicklung. Und die kann nicht darin bestehen, allein mit Verboten zu agieren, zumal das der Lebensrealität widerspricht. Da denke ich zum Beispiel an Jugendliche oder junge Erwachsene, die nicht nur den Wunsch haben, sexuelle Erfahrungen im Umgang miteinander zu machen, sondern bei gegenseitigem Einverständnis auch ein Recht darauf. Oder ich denke an Seniorenheime, wo gerade, aber nicht nur, mit Blick auf demenziell erkrankte Menschen bekannt ist, wie wichtig Berührungen und Nähe sein können.

Bei der Fortbildung haben wir gemerkt, dass es vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern gutgetan hat, darüber in den Austausch zu gehen. Sexualität hat etwas zu tun mit lebendiger Schöpfungskraft. Es geht darum, für gute Bedingungen zu sorgen, damit diese Kraft sich entfalten kann, für mich selbst, für alle Kolleginnen und Kollegen sowie für die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Jetzt ist die Idee der Sexualkultur in der Welt und sie wird schon bald zum Beispiel in den Schulungen auftauchen, daran arbeite ich gemeinsam mit unseren Präventionsbeauftragten.

Interview: Christian Breuer