Institutionelles Schutzkonzept und Kinderschutzkonzept/Gewaltschutzkonzept
Information über die Möglichkeit der Verknüpfung von sog. Kinderschutzkonzepten bzw. Gewaltschutzkonzepten zur Sicherung der Rechte von Kindern, Jugendlichen und schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen und zu deren Schutz vor Gewalt mit den institutionellen Schutzkonzepten.
Vor dem Hintergrund der Präventionsordnung des Bistums Münster sind bei allen kath. Trägern, die mit Kindern, Jugendlichen und schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen arbeiten, institutionelle Schutzkonzepte (ISK) erarbeitet worden, die den Schutz der Zielgruppen vor sexualisierter Gewalt zum Inhalt haben.
Am 1. Mai 2022 ist das „Gesetz zum Schutz des Kindeswohls und zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen“ (Landeskinderschutzgesetz NRW) in Kraft getreten. Nach dem Landeskinderschutzgesetz NRW § 11 (Schutzkonzepte in Einrichtungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe) sind alle Einrichtungen und Institutionen, die Angebote für Kinder und Jugendliche machen, welche Mittel durch den Kinder- und Jugendförderplan NRW erhalten, dazu verpflichtet, Rechte- und Schutzkonzepte zu entwickeln, die alle Formen von Gewalt berücksichtigen.
Für Einrichtungen und Dienste, in denen schutz- und hilfebedürftige Erwachsene betreut werden, gilt diese Verpflichtung über den Gewaltschutz für den Bereich der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ebenso über den § 37a SGB IX. Darüber hinaus formuliert das Wohn- und Teilhabegesetz NRW (WTG) in § 1 diese Anforderungen an die Einrichtungen so:
„Dieses Gesetz hat den Zweck, die Würde, die Rechte, die Interessen und Bedürfnisse der Menschen, die Wohn- und Betreuungsangebote für ältere oder pflegebedürftige Menschen und Menschen mit Behinderung sowie Angebote zur Teilhabe an Arbeit nutzen, vor Beeinträchtigungen zu schützen, die Rahmenbedingungen für Betreuungs- und Pflegekräfte positiv zu gestalten und die Einhaltung der den Leistungsanbieterinnen und Leistungsanbietern obliegenden Pflichten zu sichern […] Die Menschen sollen insbesondere: […] Wertschätzung erfahren, sich mit anderen Menschen austauschen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben, […] frei von Diskriminierung am Arbeitsleben teilnehmen und ihr Recht auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen ausüben, was auch den Schutz vor Gewalt und Belästigungen umfasst[…]“
Konkretisiert wird dies in den Anforderungen nach § 8 Gewaltprävention, freiheitsbeschränkende und freiheitsentziehende Maßnahmen. Auch nach Asylgesetz § 44 und § 53 in Bezug auf Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte muss der Schutz von schutzbedürftigen Personen gewährleistet werden.
Dies bedeutet, dass die bestehenden institutionellen Schutzkonzepte genutzt und entsprechend erweitert werden und neben sexualisierter Gewalt auch andere Formen von Gewalt, wie (z. B. sog. „Kindeswohlgefährdungen“ im Kinderschutzgesetz NRW) berücksichtigen.
Das heißt, dass bei der Überarbeitung im Rahmen der Qualitätssicherung das Schutzkonzept (ISK) der Pfarrei/Einrichtung/des Verbands um die Thematik „alle Gewaltformen“ ergänzt werden muss, wenn dies nicht bereits bei der Erarbeitung des ISK berücksichtigt wurde. Kinder, Jugendliche und schutz- und hilfebedürftige Erwachsene sollen durch diese Erweiterung vor allen Arten unterschiedlicher Gefährdungen geschützt werden.
Im Folgenden sind die unterschiedlichen Gewaltformen beschrieben:
Kindeswohlgefährdung
Den Begriff „Kindeswohlgefährdung“ definiert die WHO so: „Der absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichem Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, der entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt.“ (vgl. German Viol New.pdf (who.int) S.15).
Bei den beschriebenen Gewalthandlungen geht es um psychische oder physische Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, die unterschiedliche Erscheinungsformen haben.
Erziehungsgewalt
Als Erziehungsgewalt lassen sich leichte Formen der physischen und psychischen Gewalt an einem Kind bezeichnen. Sie sind erzieherisch motiviert und haben einen kurzfristigen körperlichen oder seelischen Schmerz, nicht aber die langfristige/dauerhafte Schädigung oder Verletzung des betroffenen Kindes zum Ziel. Trotz des Rechts von Kindern auf eine gewaltfreie Erziehung erfahren diese leichten Formen immer noch in Teilen der Bevölkerung eine weitgehende Toleranz. Zu körperlicher Erziehungsgewalt zählen Körperstrafen im Sinne einer absichtlichen Zufügung kurzzeitiger körperlicher Schmerzen wie z. B. Ohrfeigen oder hartes Anpacken/Anfassen.
Kindesmisshandlung
Die Kindesmisshandlung meint demgegenüber physische und psychische Gewalt, bei der mit Absicht Verletzungen und Schädigungen herbeigeführt oder aber diese Folgen mindestens bewusst in Kauf genommen werden. Gewalt und Misshandlung kann durch Personensorgeberechtigte, durch Personen, die mit der Betreuung, Erziehung oder Beaufsichtigung von Kindern betraut sind oder auch kaum vertraute oder gar fremde Personen geschehen.
Körperliche Gewalt
Als körperliche Gewalt gelten z. B. Tritte, Stöße, Stiche, das Schlagen (mit Gegenständen), Vergiftungen, Einklemmen oder das Schütteln (insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern), absichtlich zu grob oder zu fest anfassen, kratzen, unbequem hinsetzen oder hinlegen, mit zu heißem oder zu kaltem Wasser waschen.
Psychische Gewalt
Zur psychischen Gewalt werden Verhaltensmuster und Vorfälle gezählt, die Menschen das Gefühl vermitteln, sie seien wertlos, ungewollt, nicht liebenswert. Mögliche Ausprägungen sind Anschreien, Beschimpfen, Ignorieren, unter Druck setzen. Von einer psychischen Misshandlung ist im Kontext der Eltern-Kind-Beziehung auszugehen, wenn eine oder mehrere Unterformen kennzeichnend für diese sind, d. h. wiederholt oder fortlaufend auftreten:
- das Ablehnen des Kindes im Sinne der Herabsetzung der kindlichen Qualitäten, Fähigkeiten und Wünsche, die Stigmatisierung als Sündenbock,
- das Isolieren im Sinne der Unterbindung sozialer Kontakte, die für das Gefühl der Zugehörigkeit des Kindes und die Entwicklung sozialer Fertigkeiten relevant sind,
- das Terrorisieren im Sinne der Androhung, das Kind zu verlassen oder der Drohung mit schweren körperlichen, sozialen oder übernatürlichen Schädigungen,
- das Ignorieren im Sinne des Entzugs elterlicher Aufmerksamkeit oder Ansprechbarkeit und Zuwendung
- das Korrumpieren im Sinne einer Veranlassung des Kindes zu selbstzerstörerischem oder strafbarem Verhalten bzw. das Zulassen eines solchen Verhaltens bei einem Kind,
- das Adultifizieren im Sinne des Bemühens, das Kind in die Rolle des Ersatzes für eine erwachsene Person zu drängen bzw. die dauernde Überforderung eines Kindes durch Missachtung der altersentsprechenden Möglichkeiten und Grenzen.
Häusliche Gewalt
Die Fachliteratur umschreibt damit Gewaltstraftaten zwischen Erwachsenen in einer gegenwärtigen oder aufgelösten partnerschaftlichen Beziehung oder zwischen Verwandten. Man unterscheidet drei Formen:
- die physische Gewalt in Form von z.B. Schlägen, Tritten, Würgeversuchen, Verbrennungen, Nahrungsentzug,
- die psychische Gewalt in Form von z.B. Einschüchterungen, Erniedrigungen, konstanter Kontrolle, Verboten (Erwerbsverbot, Kontaktverbot), Morddrohungen, Einsperren,
- die sexualisierte Gewalt in Form von Zwang zu sexuellen Handlungen oder Vergewaltigungen.
Häusliche Gewalt gefährdet auch das Kindeswohl, weil Mädchen und Jungen, die im Haushalt einer der betroffenen Personen leben, durch das Miterleben der Gewalt in Mitleidenschaft gezogen werden.
Sexualisierte Gewalt
Als sexualisierte Gewalt gilt nach einer Definition von Günther Deegener (2005)
„jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Kind entweder gegen den Willen des Kindes vorgenommen wird oder der das Kind aufgrund seiner körperlichen, emotionalen, geistigen oder sprachlichen Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann bzw. bei der es deswegen auch nicht in der Lage ist, sich hinreichend wehren oder verweigern zu können. Die Missbraucher/-innen nutzen ihre Macht- und Autoritätsposition sowie die Liebe und Abhängigkeit der Kinder aus, um ihre eigenen (sexuellen, emotionalen und sozialen) Bedürfnisse auf Kosten der Kinder zu befriedigen und diese zur Kooperation und Geheimhaltung zu veranlassen“.
Diese Definition lässt sich auf Jugendliche und schutz- oder hilfebedürftige Erwachsene übertragen.
Zu Sexualisierter Gewalt gehören z.B. pflegerisch nicht notwendige Berührungen im Intimbereich, sexuelle Andeutungen, erzwungene Intimkontakte oder die Verletzung der Intimsphäre.
Vernachlässigung
Das meint z.B. lange auf Hilfe warten lassen oder unzureichend im Alltag helfen, nicht richtig beaufsichtigen, beispielsweise beim Duschen, Gefahrenquellen ignorieren, schlecht medizinisch versorgen, zum Beispiel durch mangelhafte Wundversorgung.
Strukturelle Gewalt
Strukturelle Gewalt bedeutet, dass die Grundbedürfnisse und die Selbstbestimmung eines Menschen durch äußere, relationale Zwänge beeinträchtigt werden (vgl. Johan Galtung).
Überarbeitung der institutionellen Schutzkonzepte mit Blick auf alle Gewaltformen
Die Präventionsordnung sieht vor, dass ein Schutzkonzept in einer Einrichtung partizipativ erarbeitet wird. Das heißt, dass auch Kinder, Jugendliche und schutz- und hilfebedürftige Erwachsene sowie ihre Sorgeberechtigten, Angehörige, Betreuungspersonen in die Ausgestaltung des Schutzkonzeptes einbezogen werden sollen. Das gilt genauso auch für die Überarbeitung des ISK im Rahmen der Qualitätssicherung.
Eine Orientierung für die Überprüfung und Überarbeitung des ISK mit Blick auf alle Gewaltformen bietet die Arbeitshilfe des BDKJ zum Gewaltschutz.
Ansprech-partnerin
Beate Meintrup
Fon 0251 495-17010
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